Seit
2010 in Syrien der Krieg anfing, sehen wir fast täglich in den Nachrichten
einen Artikel oder eine Reportage über diesen Krieg. Wir sehen dauernd Bilder
von Zerstörten Gebäuden und Flüchtlingen, Bilder von kaputten Denkmälern und
Städten, die keine mehr sind. Für die Menschen in Syrien ist es zum Alltag
geworden, in ständiger Angst leben zu müssen oder kein sicheres Dach über den
Kopf zu haben. Mittlerweile ist es für uns zum Alltag geworden, ständig
Nachrichten über den Krieg zu sehen und Nachrichten darüber zu lesen, dass wir
gar nicht mehr sosehr darüber nachdenken. Ich glaube nicht, dass die folgende
Aussage auf jeden zutrifft, aber ausschreiben werde ich diesen Gedanken schon:
Da wir ständig von einer riesigen Nachrichts-Flutwelle überrollt werden, sind
wir mit der Zeit etwas abgestumpft und werden nicht mehr sehr emotional, wenn
wir etwas lesen. Die schockierende Wirkung, die die Nachrichten vor einigen
Monaten noch auf mich hatte, hat mit der Zeit deutlich nachgelassen. Mir war es
fast egal, was ich in den Nachrichten las.
Dies
änderte sich aber, als ich heute ein Video von einem fünfjährigen Jungen namens
Omar Daqneesh in Aleppo sah, dessen Gesicht blutüberströmt war und dessen
Körper mehrere Verletzungen aufwies. Er wurde von einem Mann in den Sitz eines
Krankenwagens gesetzt. Überall blitzten Kameras, und die umstehenden
Erwachsenen gingen pragmatisch vor, aber man hörte ängstliche Stimmen und
Schreie. Der Junge, der nun auf dem orangefarbenen Sitz des Krankenwagens sass,
hatte ein sehr verwirrtes Gesicht und schien die Situation überhaupt nicht zu
begreifen. Man sah kein weinen, keine Rufe nach seiner Mama. Mit einem
aufgelösten Blick starrte er in die Kamera und wischte sich über das Gesicht,
um festzustellen, dass er blutete.
Dieses
Video war für mich eine Art Weckruf. Während ich mein sicheres Leben führte,
täglich zur Schule ging und eine Familie und gute Freunde hatte, wurden andere
Kinder in Kriegsgebieten fast tödlich attackiert. Ich wusste, dass es an
einigen Orten halt Krieg gab und dass Menschen starben und attackiert wurden.
Ich habe schon öfters Bilder von Männern im Krieg gesehen, aber mich hatten
diese Bilder nie wirklich bewegt, diese Bilder lösten nie grosse Gefühle in mir
aus. Aber als ich das Bild von dem Kind sah, war ich zutiefst schockiert.
Warum
sind es immer Bilder von Kindern, die uns zum Nachdenken bringen? Denn das wäre
nicht das erste Mal, wo ein Bild von einem jungen Kriegsopfer rund um die Welt
geht und die Herzen derer berühren, die das Bild sehen. Vor ungefähr einem Jahr
trendete das Bild von dem Flüchtlingskind Aylan, der tot am Strand von Bodrum,
Türkei lag. In 1972 kreiste das Bild von Kim Phuc in Vietnam um die Welt.
Obwohl man 1972 kein Internet hatte, öffnete das Bild die Augen der Menschheit.
Man realisierte, dass die meisten Kriegsopfer junge, unschuldige Kinder sind.
Die
Kinder können gar nichts dafür, dass der Krieg tobt, aber sie sind diejenigen,
die das meiste Leid ertragen müssen. Sie verlieren ihre Eltern, Sie verlieren
ihr Zuhause, ihre Geschwister und vor allem eine schöne Kindheit. Kinder
verstehen die Gründe des Krieges nicht, und sie können sich auch nicht selber
schützen. Wenn wir Bilder von Kindern sehen, können wir uns auch gut in sie
hineinversetzen, da wir uns selbst sehr gut an unsere Kindheit erinnern. Wir
erinnern uns auch, dass wir viele Erwachsenenthemen nicht verstanden. Bilder
von verletzten Kindern berühren uns auf eine andere Weise wie Bildern von
erwachsenen Männern, die mit Waffen auf andere zielen. Erwachsene sind nämlich
gut darin, ihre Emotionen zu verbergen, während Kindern die Emotionen ins
Gesicht geschrieben sind. Man hat das Gefühl, dass Erwachsene gut mit dem Krieg
und dem Tod umgehen können, schliesslich haben die Erwachsenen ja irgendwie zum
Krieg beigetragen, wenn auch nur indirekt. Aber Kinder, Kinder können nichts
dafür. Sie verkörpern die Unschuld. Bilder von Kinder, die vom Krieg betroffen
sind, sind deshalb unsere Helden.
Ein sehr ausführlicher und in die Tiefe gehender Beitrag, der mich sehr berührt. Sie beschreiben zunächst den Prozess der Abstumpfung, dann die Videoaufnahmen von Omran und was sie bei Ihnen auslösten. Zuletzt setzen Sie sich mit der Frage auseinander, wie die Situation für Kinder sein muss und finden darin den Grund für das Phänomen, weshalb Bilder von leidenden Kindern bei uns so eine große Wirkung und Betroffenheit auslösen. Ich bin beeindruckt, auch von Ihrer differenzierten Sprache!!!
AntwortenLöschenDanke, es erfreut mich dass ihnen der Text gefallen hat.
LöschenEinen super Artikel! Sehr gut aufgebaut und ich kann all deine Gedankengänge nachvollziehen, auch wenn ich nicht immer gleicher Meinung bin.
AntwortenLöschenDanke, Kalea
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